AH1

Türkei – Mitte August

Ich blinzle den Schweiss aus dem Augenwinkel, strecke den Rücken und taste wie schon tausende Male auf dieser Reise nach meinem linken Oberschenkel um das Handy aus der aufgenähten Oberschenkeltasche zu holen. Irgend eine Kreuzung, die Richtung wäre eigentlich klar, doch diese Strasse scheint wieder eine oder zwei Kategorien höcher eingestuft zu sein, richtungsgetrennt, Leitplanken, Richtung Ost. Nach dem vierten Versuch ist dann auch der Entsperrcode akzeptiert, in der glaarigen Sonne sieht man fast nichts auf dem Bildschirm. Fünf Sekunden gewartet bis mich das GPS an die Kreuzung stellt, und eigentlich sehe ich nichts Neues hier. Dann fällt mir die Strassennummerierung auf, das kleine grüne Kästchen mit E80 aber habe ich auch schon früher gesehen. Neu ist ein grösseres Kästchen, darin steht «AH1»

Als wir jetzt über die Gegenfahrbahn auf die nach Osten führende Seite kreuzen, fühlt sich das schon etwas anders an als bei den hundert anderen Strassen, auf die wir schon eingebogen sind. Nun fahren wir das erste Mal bewusst auf dieser geschichtsträchtigen und legendären Fernstrasse. Am Strassenrand lässt aber nichts darauf schliessen, keine Schilder, keine Nummern oder Namen, nur E80.

Die Europastrasse 80 ist eine 5700 km lange autobahnähnliche Fernstrasse, ihr Beginn liegt in Portugal und sie durchquert danach Spanien, Frankreich, Italien, quert den Balkan und führt durch Bulgarien in die Türkei. Bis Istanbul mag sie vielleicht noch nicht bekannt sein, doch danach östlich von Istanbul folgt die E80 der legendären Seidenstrasse. Der alte Seidenstrasse folgt hier auch die neue Seidenstrasse, der One Belt, One Road, oder besser bekannt, der Asian Higway 1, kurz AH1.

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Der AH1 ist eine 20’000 km lange Fernstrasse, welche Istanbul mit Tokio verbindet. Ein ergeiziges Projekt aus der Initiative China’s um alte Handelswege neu zu erschliessen. Wir fahren nun das erste Mal auf unserer Reise die ersten Kilometer auf der Seidenstrasse. Seit hunderten Jahren reisen Menschen entlang diesem Weg, die lange Verbindung von West und Ost, die Brücke von Europa nach Asien.

In den nächsten Tagen kann man sich schon ab und zu einbilden, die Geschichte zu spüren. Die Strasse zieht sich durch karge, braungelbe Hügelzüge. Es ist unerbittlich heiss, die Sonne brennt die Farbe aus unseren T-Shirts und die Pneus kleben stellenweise am groben Asphalt. Lastwagen donnern an uns vorbei, wir hören die Reifen schon von Weitem singen. Unbekannte Schriftzeichen auf den Sattelschlepper, unkenntliche Ziffern auf den Nummernschildern. Im Halbminutentakt werden wir von den Lastwagen überholt oder gekreuzt, viele fahren unter iranischen Kennzeichen. Das scheint wirklich eine Handelsstrasse zu sein, es fühlt sich schon fast an als ob wir ein paar tausend Kilometer weiter östlich wären. Wo sind die Kamele? Wo sind die Oasen? Ich wäre nicht erstaunt wenn hinter der nächsten Talwindung plötzlich Dattelpalmen stehen würden.

Die Strasse zieht sich eine Steigung hinauf, schnurgerade, unerbittlich. Es ist Nachmittag in der grössten Hitze. Die tonnenschweren Lastwagen überholen uns im Schritttempo mit brüllendem Motor, die höllenheissen Abgase streifen über unsere Beine. Dieselgeruch liegt über der Strasse. Die Kopfhörerknöpfe weit in die Ohren gedrückt, den Kopf gesenkt, der Schweiss tropft im Sekundentakt auf den Velorahmen.

Zwei Tage später biegen wir an einer unscheinbaren Verzweigung wieder von dieser Strasse ab, Richtung Nordost, wärend der AH1 rechts von uns nach Südost zieht, direkt in den Iran und weiter nach Zentralasien. Wir werden nicht das letzte Mal auf dieser legendären Strasse gefahren sein.

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