Albanien – Anfang Juli
Albanien, das Land des Doppeladlers! Natürlich hat Albanien noch etwas mehr zu bieten: die Autobahn wird auch für Viehherdenverschiebungen genutzt und die Bergstrassen sind steil bis sehr steil. Nach dem Kosovo werden wir etwas weniger enthusiastisch angesprochen doch wenn das Eis mal gebrochen ist wird man schnell zum Kaffee eingeladen und kann gemeinsam über die schlechten Strassenzustände ablästern.
Autobahn
Unsere Karte will uns weismachen, dass es zwischen dem Kosovo und Albanien nur eine Autobahn gibt. Zurück in Prizren nehmen wir uns dem Thema an, schliesslich gibt’s ja Streetview und Satellitenbilder. Scheinbar gibt es wirklich nur eine vierspurige Strasse über die Grenze, doch nach etwas Recherche bei Streetview sind auch die Schilder mit der Höchstgeschwindigkeit gefunden. 80 km/h bei zwei Spuren mit einem breiten Seitenstreifen scheint uns ganz passabel, das ist mehr Platz als wir bisher hatten. Also los, auf zur Autobahn! Bis zur Grenze hin gibt es eine normale Strasse und nachdem unsere Pässe kontrolliert und für gut befunden sind, fahren wir auf die Autobahn. Ein Foto mit dem Veloverbotsschild scheint uns in Sichtweite der Grenzpolizei etwas zu sehr das Glück herausgefordert und wir steuern auf den Pannenstreifen zu. Wir rechnen mit Sirenengeheul und versuchen daher uns mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von der Grenze zu entfernen. Nichts passiert und wir geniessen die Fahrt auf der liebevoll in die hügelige Landschaft eingfräste Streckenführung. Wir zweifeln ein erstes Mal an der Ernsthaftigkeit der Strassenkategorisierung als die beiden Seiten wegen einer nur zweispurigen Brücke ohne Richtungstrennung zusammengeführt werden. Der Erdwall auf unserer Seite der Strasse soll die übermotivierten Raser am Flug in den Fluss hindern oder im besten Fall auf die andere Seite katapultieren. Wir zweifeln ein weiteres Mal als uns Schulkinder auf dem Schulweg zu Fuss auf dem Seitenstreifen begegnen und auch als uns ein Traktor im Schritttempo kreuzt. Und doch halten wir es als verkehrsregelgetreue Velofahrer aus Zentraleuropa kaum auf der für uns verbotenen Strasse aus und wir nehmen die erste Ausfahrt, welche auf eine Nebenstrasse mit abenteurlichem Verlauf parallel zur Autobahn führt. Einigermassen schnell zweifeln wir auch hier an der Kategorisierung. Dieses Mal daran, ob die Geröllhalde als Strasse durchgeht. Sie fiel wohl dem künstlichen Taleinschnitt für die Autobahn zum Opfer, und so holpern wir den Hang runter zurück zur Autobahn. Dank der nahegelegenen Brücke mit schon bekannter Zusammenführung der Spuren können wir auch wieder auf unsere Fahrspur zurück, sonst hätten wir noch die Velos über die Mittelplanke wuchten müssen.
Das Wasser steht uns bis zum Hals
Wir wissen, da unten im Süden irgendwo vor der albanischen Küste braut sich etwas zusammen. Hohe Bewölkung zieht rein und es wird etwas kühler. Die Zeichen stehen auf Sturm doch wir lassen uns nicht gross beeindrucken, schliesslich gibt es kein schlechtes Wetter, nur falsche oder schlechte Ausrüstung. Wir sind am Ohrid-See, der wird brüderlich geteilt zwischen Albanien und Mazedonien. Auf dem Camping aus Tito’s Zeiten haben wir Platz zum Versauen, dazu auch noch Internet und eine Horde struppiger Hunde. Unser Wetter-App erzählt uns in fröhlichen farbigen Animationen, dass ein Tiefdruckgebiet in den nächsten paar Tagen im Schneckentempo über Albanien und Griechenland zieht, Zentrum mit ein paar Kilometer Prognoseunschärfe meistens direkt über unserem Zelt. So schlimm wird’s schon nicht, Zelt zusammengepackt und bei bedecktem Himmel nach Ohrid geradelt und dann ausgiebig die Stadt besichtigt. Mit zwei schwer bepackten Velos im Schlepptau macht jede Stadtbesichtigung doppelt Freude, Highlights sind jeweils Kopfsteinpflaster und schmale Gassen mit 50%-Steigungen. Ohrid bietet beim Aufstieg zur Burg sogar beides in reizvoller Kombination. Wir nützen die regenfreie Hälfte des Tages für Sightseeing und flüchten dann beim ersten Platzregen in eine Fastfood-Pizzeria und setzen uns damit auseinander dass wir anschliessend bei diesen Verhältnissen weiter radeln dürfen.
Der Rest des Radlertags ist dann auch ein grosser Zwiespalt zwischen von aussen nass werden oder von innen nass werden. Die knackigen Steigungen bringen die Regenjackenmembranen schnell an ihre Grenze – wie soll Schweiss raus wenns von draussen nach innen drückt. Noch ists erträglich, die albanische Grenze überqueren wir bei Nieselregen und das Städtchen mit Hostel ist nahe. Doch auf den paar Kilometern kippt der Dauerregen in eine wahre Sintflut, es schüttet und als wir in die Stadt reinfahren steht schon alles unter Wasser. Noch sehen wir das recht entspannt, wir wissen es gibt ein Hostel und wir tragen unter dem Regenzeug nur T-Shirt und Unterhosen.
Zur grossen Freude aller Verkehrsbeteiligten wurde vor Kurzem die gesamte Hauptstrasse quer durch die Stadt vom Asphalt befreit und die tiefergelegten Mercedes-Karossen pflügen durch eine hellbraun schäumende Brühe. Hier sind die grobschlächtigen Lastwagen aus besseren Tagen (Tito’s Tagen selbstverständlich) deutlich im Vorteil, die Schlaglöcher können ihre für die Innenstadt eher überhöhte Geschwindigkeit auch nicht gross bremsen. Wir reihen uns in den Verkehr ein und holpern über eine Strasse deren Oberfläche wir nicht sehen, fast fühlt es sich an wie Schifffahren. Die Wassermassen fliessen quer über die Strasse und verwirren unsere Sinne da unsere Velos plötzlich scheinbar seitwärts fahren. Auch die aus den Abflussgittern sprudelnde braune Brühe ist nicht förderlich für die Verkehrssicherheit. Zum Glück sind unsere Handys wasserdicht, innert Sekunden ist alles komplett durchnässt, aber so finden wir das Hostel und verwüsten mit unserem nassen und dreckigen Gepäck den Innenhof und anschliessend das neue Appartment.
Drei Tage später lässt der Regen nach, wir habenschon nach der ersten Nacht die Unterkunft gewechselt nachdem bis nach Mitternacht albanische Partymusik im Zufallsmodus durch den Innenhof dröhnte. Wir buchen ein erstes Mal ein Zimmer über Airbnb bei einem pensionierten Pärchen und teilen uns die Wohnung. Wir vermuten, dass sie uns ihr Schlafzimmer überlassen haben und im Wohnzimmer auf den Sofas pennen. Die Kommunikation läuft fast ausschliesslich über Google-Translate doch braucht es zur Kommentierung des Schweizer Siegs über Serbien nicht viele Worte, die Namen der Spieler und ihre Doppeladler reichen aus um alle Beteiligten aus den beiden Ländern Schweiz und Albanien zu einen.