Herzegowina – Ende Juni
Einmal kroatische Küste -> Mostar und retour. Unser Ausflug nach Bosnien/Herzegowina ist von Gastfreundschaft und Bergen von gegrilltem Fleisch aber auch einer Stadt mit bedrückender Vergangenheit geprägt. Reiseführer auf dieser Strecke sind Aline&Christoph. Aber wie immer zuerst die Kurzzusammenfassung für die Lesefaulen:
Wetter
Hochsommerlich heisse und sonnige Tage mit gewitterigem Abgang.
Strassenverhältnisse
Hauptstrassen mit erträglichen Verkehr und ruhige Nebenstrassen. Hier aber nehmen die Auto- und Lastwagenfahrer spürbar mehr Rücksicht auf Velöler als noch in Kroatien. Dazu gibt’s ein Veloweg nach Mostar (selbstverständlich ein EU-Projekt…)
Übernachtungsmöglichkeiten
Weg von der Küste gibt es nicht mehr so viele Campingplätze – ausser natürlich bei den touristisch relevanten Orten. Aber auch so finden wir mehr oder weniger offizielle Zeltplätze – z.B. im Nationalpark neben dem Wasserfall.
Essen
Altbekanntes aus Kroatien gibt es auch hier. Fleisch in allen Varianten, dazu orientalische Süssigkeiten, türkischer Kaffee, Chirschi und Schnaps Schnaps Schnaps.
Sehenswürdigkeiten
Die Wasserfälle von Kravica, die Stadt Mostar und Kirchen/Moscheen mit bewegter Geschichte.
Top
Die herzegowinische Gastfreundschaft und der Veloweg nach Mostar.
Flop
Gewitter mit sintflutartigen Regenfällen.
grösste Angst
Personenabhängig verschiedenes; zu wenig Essen, zu wenig Wasser, zu viele Schlangen, zu wenig Schlaf, zu frühe Tagwacht
Kravica
Unser kleiner Ausflug von der kroatischen Küste ins Landesinnere nach Bosnien/Herzegowina beginnt mit einem Pass. Vom Meer geht’s steil rauf, zum Glück haben wir uns mit Hilfe des Weckers zu Unzeiten aus dem Zelt gewälzt. So können wir die ersten paar hundert Höhenmeter im Schatten strampeln, doch der Schweiss fliesst trotzdem schon ganz ordentlich. Wir überwinden den Touristen-Schutzwall und gelangen hinter der ersten Reihe des Küstengebirges ins dalmatische Hinterland und etwas später nach Bosnien/Herzegowina.
Der Zustand der Infrastruktur verschlechtert sich, die Baujahre der Autos nähern sich unseren Jahrgängen. Wir steuern ein Zeltsymbol auf unserer Karte an – die Wasserfälle bei Kravica. Beim Einkaufszentrum im Wifi gegoogelt soll man dort zelten können. Wir machen uns auf alles gefasst und radeln in den Nationalpark. Beim Gespräch an der Kasse beim Eingang zeigt sich ein erstes Mal dass dieses Land nicht einheitlich ist und es immer noch politische/ethische/religiöse Gräben gibt. Auf die Frage wie man das auf «bosnisch» sagt erfahren wir vom plötzlich sehr wortkargen Kassierer er sei kein Bosnier.
Verschiedene Ethnien, verschiedene Religionen und dann noch die freie Kombination jeglicher Varianten machen es für uns etwas unübersichtlich welche Anderen jeweils die Bösen sind. Egal mit wem wir es zu tun haben, wir treffen hier aber nirgendwo «die Bösen», im Gegenteil.
Der Zeltplatz ist kein offizieller Zeltplatz aber es hat eine gerade Wiese (gemäht) und ein WC neben den touristisch erschlossenen Wasserfällen. Es gibt zwar keine Duschen, aber das Baden bei den Wasserfällen ist «eigene Verantwortung». Die Dusche unter den doch einigermassen hohen Sturzbächen mit viel Wasser wäre wohl etwas schmerzhaft (bei porentiefer mechanischer Reinigung) aber wir teilen uns den Fluss weiter unten mit frechen Fischen (sie versuchen unsere Füsse zu fressen) und Wasserschlangen, doch sauber werden wir trotzdem.
Der Gegensatz der Infrastruktur und der Organisation in touristischen Gebieten zwischen Kroatien und Bosnien ist auffallend. Wir hätten wohl niemals neben den Plitvicer Seen zelten in den Tümpeln dort baden können – hier kümmerts niemanden.
Berge von Fleisch
Wir haben einen Veloweg gefunden. Überrascht, ja schon fast schockiert stehen wir vor dem Schild, das sehr kreativ ein Velo und eine Lokomotive vereint darstellt und uns den Weg nach Mostar weist. Kann ja nicht sein. Wir suchen den Sternenring der EU, welcher unzertrennlich mit für die Lokalen überflüssiger Velo-Infrastruktur verbunden ist. Nun, da ist er ja, alles im blauen Bereich!
Der Veloweg führt uns auf einer Nebenstrasse der Zuglinie und dem Fluss entlang nach Mostar. Im Laufe des Tages türmen sich die Gewitterwolken vor uns immer höher auf. Wir liegen in den Schatten am Fluss und lassen die tüppige Hitze über uns ergehen. Das ferne Donnergrollen weckt und schreckt uns auf. Wir stellen uns dem Dilemma zu unserem Camping zu fahren, dabei aber direkt in die brodelnde Schwärze am Talausgang zu steuern. Ein erster überraschender Sturzregen kühlt uns nachhaltig ab, doch das war nur ein kleiner Vorbote. Wir werden immer unentschlossener, erste Blitze ein paar Kilometer vor uns bremsen uns dann endgültig ab. Kurzentschlossen und mutig überfallen wir eine Grillgemeinschaft, die wir kurz vorher beim Vorbeifahren erspäht haben. Da sitzen ein paar Herren vor ihrem «Wochenendhaus» am Fluss, der Grill (ca 1.5 m^2 Fläche) glüht, das Bier fliesst. Unsere gehetzten Blicke in Richtung Gewitter und unsere Bitte unter das Dach stehen zu dürfen führt dazu dass wir kurz darauf am Tisch sitzen und jeder ein grosses Bier in der Hand hat. Das am Anfang nur harzig gemümmelte Englisch der Männer wird von Minute zu Minute besser (eventuell besteht ein Zusammenhang mit dem Alkoholpegel) und wir tauschen Basisinformationen aus (Name, Herkunft, Tagesroute, Tagesziel, Reiseziel, Beruf, Familie). In der Zwischenzeit ist das Gewitter eskaliert und wir sitzen zusammengedrängt auf der Terrasse und der Grillmeister meistert unter einen stark schwankenden Sonnenschirm im Sturzregen eine Fleischmasse von ungefähr 10 bis 20 kg für (ursprünglich) 6 Leute. Die verschiedenen Fleischsorten mit unterschiedlichen Anforderungen an die Zubereitung auf dem Grill sind ausnahmslos perfekt gegrillt, gut gewürzt und auch für Vegetarier äusserst schmackhaft. Wir halten uns zurück (man will den Mannen ja nicht ihr Fleisch wegessen) doch je weniger wir nehmen desto mehr wird uns auf den Teller geschaufelt.
Wir sind in der Zwischenzeit beim Schnaps angelangt, vollgefressen mit Fleisch (soweit die Erinnerung reicht gab es quasi keine Beilagen, etwas Brot und Tomate…) da steht plötzlich ein weiterer Tourenvelofahrer draussen. Der grösste Sturm ist in der Zwischenzeit vorbei, es gibt ein grosses Hallo (der Clement kommt natürlich auch aus der Schweiz) und die nächste Runde Fleisch wird aufgetischt. Als dann die Gesellschaft damit beginnt heroische Lieder zu singen versuchen wir uns zu verabschieden um vielleicht doch noch vor dem Eindunkeln auf den Camping zu gelangen. Allen Ernstes holt der Grillmeister jetzt das Nachtessen raus und meint, das komplette Grillmenu war erst das Apero, ein Snack am Nachmittag. Wir können die nun servierten Cevapi nicht ablehnen, sie sind einfach zu köstlich. «Mageres Fleisch, gutes Fleisch!» ist der Kommentar als wir die fetttriefenden Finger versuchen sauber zu kriegen. Die Ablösung fällt schwer, jedes Mal wenn wir unsere Bierflasche oder das Schnapsglas leeren um aufzubrechen wird es selbstverständlich wieder gefüllt. Schlussendlich hilft nur noch die resolute Ankündigung zum Aufbruch durch unsere starken Frauen und wir fahren in weiten Bogenlinien Richtung Campingplatz.
Mostar
Nach dem herzlichen Empfang in Herzegowina durch die Grillrunde fühlen wir uns in diesem Land willkommen und machen einen Ausflug in die von den letzten Kriegen geprägte Stadt Mostar. Die ganze konfliktreiche Geschichte ist kompliziert, und wir merken mit jeder Erklärung dass wir als Schweizer ohne Kriegsvergangenheit einfach kein Gefühl und daher kaum Verständnis dafür haben. Die Altstadt mit der osmanischen Brücke und einem Mix aus katholischen und orthodoxen Kirchen wie auch durch Moscheen und Minarette konzentriert alle Tagestouristen auf engem Raum, die altbekannten Reisegruppen wälzen sich durch die engen Gassen und verrenken sich auf der Brücke für Selfies und kaufen lokale Souveniers hergestellt in Asien. Wenn man die Vergangenheit dieses Landes und der Stadt nicht sowieso kennt, merkt man hier sonst nichts vom Krieg. Das kleine Museum mit Kriegsfotos direkt an der Brücke ist nur sehr spärlich besucht. Die Bilder in grobkörnigem Schwarz/Weiss machen betroffen – es ist nicht lange her da war die Infrastruktur zerstört, die alte Steinbrücke in Trümmer im Fluss, und es lagen von Scharfschützen erschossene Zivilisten in den Gassen der Altstadt.
Ausserhalb der Touristenstrasse bröckelt die Fassade, plötzlich stehen Häuserruinen zwischen unsorgfältig und schnell gebauten unverputzten Häusern. Fassaden mit abgesplittertem Putz, Einschusslöcher oder zugemauerte mannshohe Ausbrüche zeigen direkt die Gewaltanwendung. Die unteren Geschosse sind teilweise immer noch verrammelt, Fenster und Türen sind zugemauert oder vernagelt.
Immer wieder können wir auf der andere Seite des Flusses ein hohes graues Gebäude im Rohbau sehen. Es ist der «Snipertower», der Scharfschützenturm. Von dort kamen die Kugeln, es ist kaum möglich nicht ins Schussfeld zu gelangen. Ein beklemmendes Gefühl. Etwas später besteigen wir selbst den Snipertower. Man hat eine hervorragende Aussicht über die Stadt, die Brücke über den Fluss zwischen den ehemals verfeindeten Stadtteilen liegt im Sichtfeld und man kann ganz klein die Touristen mit den Selfiesticks sehen.
Die Frau im Museum meint zu unserem Kommentar zu den Touristenmassen nur «Je mehr Touristen desto besser. Alles ist besser als das, was früher war.»