Türkei – Anfang August
Das Herz ist schwer, ein Tränchen im Augenwinkel und wir strampeln aus dem Feriendorf in die erste Steigung des Tages. 1. August, ein Hoch auf die hochentwickelte und wirtschaftlich starke Schweiz, lasst die Fahnen flattern und die Frauenfürze furzen. Hier jedoch interessiert das niemanden und wir sind äusserst dankbar den Tag ohne akustische Hommage an Krieg zu verbringen.
Wir haben die Deutschen vorausgeschickt, nun dürfen sie für uns die besten Zeltplätze erkunden und wir können entspannt hinterher radeln. Schon Mittags geht der erste mögliche Standort für das Übernachten per Whatsapp ein.
Gegen den späteren Nachmittag stehen wir dann in einem weiteren Dorf am Meer, einmal kurz eingekauft (Wasser, Fanta, Mayo, Halva) und wir steuern den angepriesenen Park an. Naja, wäre schon möglich hier, nicht gerade superknusperig weil von der Strasse her kann man reinschauen und uns beim Schlafen beobachten. Das wollen wir nicht, also klappern wir den Strand ab. Salzige Gischtwolken ziehen vom Meerwind getrieben ins Dorf. Das wollen wir auch nicht. Also doch der Park, da hat’s sogar ein Gebäude mit öffentlichem Klo. Vorne auf der Terasse sitzen alte Männer (immer sitzen überall alte Männer…) und Martina steuert strammen Schrittes die Rückseite an um irgendeine Autoritärsperson zu finden. Sie findet Achmed.
Erstkontakt wird hier immer mit «Merhaba» hergestellt, den darauf folgenden türkischen Wortschwall müssen wir mit «no turkish, no turkisch, english?» abfangen. Hier kann nun fast alles geschehen, dieses Mal kommen wir, so scheint’s, mit Deutsch weiter. Bis ich entlich mein Velo parkiert und zu Martina aufgeschlossen habe läuft bereits die Diskussion wegen der Schlafgelegenheiten. Doch eigentlich interessiert Achmed viel mehr woher wir kommen. «İsviçre, Switzerland!» Und dann geht’s rund. Weil Achmed kommt aus Solothurn. Die Schweiz ist klein und in der Relation dazu ist auch die Welt klein. Es ist schon fast komisch mal mit jemand anderem Berndeutsch zu sprechen als mit dem anderen, doch wir geniessen es, endlich mal nicht mit Englisch oder unserem unglaublich beschränkten Türkisch rumzuwerkeln. Achmed erlaubt uns im Namen seines Heimatdorfs in diesem Park zu zelten, doch das eine führt zum anderen und er offeriert uns seine Dusche und etwas zu Essen gebe es dann auch.
Achmed ist schon seit 40 Jahren (Irrtum vorbehalten, aber grundsätzlich einfach ne lange lange Zeit) in der Schweiz und macht wie so viele Türken aus der Diaspora in seinem Heimatdorf Sommerferien, «nume no zwei Woche, dann zurück und wieder ga bügle». Wir begrüssen seine Frau Ayhan, seine Schwester Hayriye und seine Mutter und auch die usbekische Haushaltshilfe der Mutter. Kurz darauf erscheint dann der Mann seiner Schwester, Haci, und es dauert nicht lange, da erscheinen noch die zwei Cousins Hüseyin und Sefer mit ihren Frauen Leyla und Nilgün aus der Nachbarschaft und der lange Tisch vor dem Haus ist voll. Die Gesellschaft kennt sich, sie sehen sich fast jeden Tag zum Essen. Wir quatschen mit Achmed und freuen uns über die in die Türkei importierte Schweiz, ihm müssen wir natürlich auch nicht erklären wie das zu Hause so läuft, dafür muss er für all die supergwunderigen Freunde übersetzen, Fragen weiterleiten und erklären.
Wir haben im Hinterkopf noch unser Zeltplatz im Park, doch hat Achmed sich schon lange mit seinem Cousin Hüseyin abgesprochen und uns wird ein Zimmer mit richtigem Bett angeboten.
Satt und zufrieden nach einem exquisiten Znacht (in Mehl und Anke gebratene Fischli, mit Reis und Hackfleisch gefüllten Peperoni und Zuchetti, Tee, Kaffee und Süssigkeiten) und frisch geduscht bleiben wir gerne im der munteren Runde sitzen und plaudern, die Schweiz ist dank Achmed an diesem Tag etwas näher gerückt.
Schlafenszeit, grosses Hallo, die halbe Gruppe wandert mit uns durchs Dorf zu unserem Nachtlager. Die Velos werden entladen und im Keller eingeschlossen (unser Gastgeber kann sonst nicht in Ruhe schlafen), die Sacchoschen sicher verstaut und wir werden ins bisher schönste Gästezimmer einquartiert.
Wir schlafen tief und fest, nur der Muezzin um 5 Uhr in der Früh keine zwanzig Meter neben unserem offenen Fenster sorgt dank der nicht ganz sauber eingestellten Verstärkeranlage für einen leider unüberhörbaren akkustischen Tiefpunkt, doch der Ausblick vom Balkon aufs Meer macht das mehr als wieder wett. Später holt uns Achmed zum Frühstück ab.
Zum Frühstück versammelt sich wieder die ganze Gesellschaft, Achmeds Schwester Hayriye hat Geburtstag, und das Zmorge ist grossartig. Auch hier, wie immer und überall seit wir im den Balkan kamen, ist die Küche Frauensache. Es wird gekocht, serviert, abgeräumt und abgewaschen. Der Mann des Geburikindes lässt es sich dann aber nicht nehmen extra zur Feier des Tages an ihrer Stelle den Tee auszuschenken, was einige Sprüche in der Gruppe provoziert und sich die anderen Herren dann für ihre Untätigkeit rechtfertigen müssen. Der beste Konter kam von unserem Gastgeber; er liebe seine Frau eben nicht nur am Geburtstag sondern jeden Tag im Jahr!
Nach einer weiteren grandiosen Begegnung mit aller Gastfreundschaft die man sich als Tourenradler nur wünschen kann (Duschen, Essen, Schlafen…) verlassen wir pünktlich auf die grösste Hitze die fröhliche Gesellschaft. Es war ein gelungener 1. August, Achmed hat uns die Schweiz für einen Abend in die Türkei gebracht! Merci!