Essen ist wichtig. Nicht nur auf einer Veloreise. Aber dann ganz besonders. Es wird Zeit, mal etwas aus der kulinarischen Ecke zu berichten. Kirgistan und was wir da so erleben, eignet sich recht gut für dieses Vorhaben.
Beim Velofahren verbrennt man ja bekanntlich Kalorien. Also muss für eine genügende Zufuhr gesorgt werden. Roman hat da so seine speziellen Vorlieben: Viel Kondensmilch, viel Schoggiriegel und noch viel mehr Mayo. Trotzdem sieht man ihm an, dass die letzten Monate relativ anstrengend waren. Also kommen noch bei jeder Gelegenheit Ärdnüssli mit Zuckerüberzug dazu. Die kann man hier offen oder abgefüllt in verschieden grossen Säcken kaufen.
Sonst allerdings kann man – je nach Gegend – nicht allzu viel kaufen. In Osch haben wir (fast) alles bekommen, was das Herz begehrt. Riesengrosse Supermärkte bieten alles von Pesto über getrocknete Tomaten bis zu Parmesan (ja, ich vermisse vor allem die mediterrane Küche). Doch bereits eine Tagesetappe nach Osch, werden die Dörfer und damit die Lädeli immer spärlicher.
Immer wieder müssen wir gut planen und für drei bis fünf Tage das gesamte Essen mitschleppen. Wenn wir dann endlich wieder in ein Dorf kommen und uns im Lädeli neu eindecken können, ist die Enttäuschung zuweilen gross, wenn es wieder einmal nur Süssigkeiten, ein paar Nudeln und abgelaufene Konservendosen hat. Nicht, dass wir hungern müssten; unsere Kalorien bekommen wir schon. Aber die mentale Stärke von uns verwöhnten Europäern wird schon etwas in Mitleidenschaft gezogen.
Umso wichtiger werden dann Erlebnisse wie folgendes: Wir quälen uns bei 30 Grad einen dieser kirgisischen Pässe hoch und lassen uns von jedem vorbeirasenden Auto mit Staub bepudern und mit umhergespickten Steinen bewerfen. Nein, so tragisch ist es nicht, es hat kaum Verkehr. Aber unsere Laune ist sicherlich nicht gerade auf einem Höchststand.
Uns kommt ein Kleinbus entgegen, bremst und wir werden von einem älteren Paar aus dem Wallis begrüsst und ausgefragt. Und dann kommts: Ganz beiläufig strecken sie uns je eine kleine, geschmolzene Toblerone hin. Wir können unser Glück kaum fassen. Und es wird noch besser! Als die beiden unsere glänzenden Augen sehen, hinterlassen sie uns ihren gesamten Vorrat an Schweizer Schoggi, bestehend aus diesen kleinen, einzeln verpackten Schöggeli mit je einem Bildli eines Ortes in der Schweiz vorne drauf. Unser Tag ist gerettet.
Und bereits am nächsten Tag geht es kulinarisch spannend weiter. Auf dem Weg von einem Pässli runter, werden wir von einem etwa 14-jährigen Mädchen ausgebremst. Sie hat ihre Englisch-Vociliste dabei und will an uns ausprobieren, ob das funktioniert mit der Kommunikation. Tut es. Und wenig später kommt noch ihre ältere Schwester und ein ganzer Haufen jüngerer Geschwister dazu. Die ältere Schwester kann auch ohne Wörtliliste etwas mit uns reden und lädt uns zu sich in die Jurte ein.
Wir erfahren, dass die Familie hier oben – wie so viele andere – die dreimonatigen Sommerferien verbringt. Sie haben ein paar Kühe, viele Pferde und auch ein paar Hunde streunen um die Jurten.
Wir nehmen Platz und bekommen sofort eine Tasse Kumys. Die berühmt-berüchtigte vergorene Stutenmilch. Wir haben gewusst, dass uns das irgendwann erwartet. Nun ist es also so weit. Ganz skeptisch nehmen wir einen Schluck. Aber es ist gar nicht so schlimm. Klar, es ist sauer. Und hat ziemlich viel Kohlensäure vom Gärungsprozess. Wenn man aber nicht explizit an Milch denkt beim schlucken, ist es ganz ok.
Roman spielt noch ein bisschen Ball mit der Kleinsten der Familie und ich lerne ein bisschen Englisch mit der Ältesten. Dann verabschieden wir uns und sind um ein kulinarisches Erlebnis reicher.
Ein paar Tage später erreichen wir den Son-Kul-See. Dieser liegt auf rund 3000 m.ü.M und ist umgeben von weiten, grünen Weideflächen. Gespickt ist das Grün von Dutzenden von weissen Jurten. Überall weiden Kühe, Pferde und Esel. Und wenn man etwas genauer hinschaut, so sieht man, dass inmitten der Wiesen riesengrosse Flächen fast komplett von Edelweiss bedeckt sind. Wir sind sozusagen auf der kirgisischen Alp.
Uns gefällt es in dieser Idylle und wir beschliessen einen Ruhetag einzulegen. Um unsere Vorräte, die noch für ein paar Tage reichen müssen, zu schonen, entscheiden wir uns für eines der vielen «yurt camps». Der Tourismus hat definitiv Einzug gehalten hier oben. Was wir auch niemandem verübeln können, ist es doch wirklich wunderschön hier. Wir finden ein hübsches, kleines yurt camp am Westufer des Sees, wo etwas weniger los ist als am Südufer.
Das yurt camp ist uns von einem Grüppchen südafrikanischer Velöler empfohlen worden, die wir vor ein paar Tagen gekreuzt haben. Sie haben von «glamping» gesprochen und tatsächlich scheint man hier zu wissen, welchen Komfort sich westliche Touristen gewöhnt sind. In den Jurten wird nicht am Boden, sondern in Betten geschlafen, im WC-Häuschen – 50m von den Jurten entfernt – steht eine normale WC-Schüssel auf dem Loch im Boden und wieder einmal wird für uns Wasser aufgeheizt, damit wir uns in einem warmen Raum waschen können.
Und erst das Essen! Die Frau, die etwas Englisch spricht und daher für die Touristen zuständig ist, verwöhnt uns mit Mahlzeiten, wie wir sie schon lange nicht mehr gehabt haben. Normalerweise gibt es eine reichhaltige Suppe und dann Plov. Also Reis mit ein paar Streifen Zwiebeln und Rüebli und vielleicht ein paar Möckli Fleisch. Hier bekommen wir frittierte Auberginenscheiben, Tomatenscheiben und dazwischen Quark. Oder in Lasagneblätter eingewickelte Spegeleier. Oder mit Fleisch und Zwiebeln gefüllte Peperoni. Oder hausgemachte Confi zum Frühstück.
Allerdings verbringe ich die zweite Hälfte der zweiten Nacht mit meinem Schlafsack neben dem WC-Häuschen. Roman geht es gut und einmal mehr ist nicht ganz klar, was der Auslöser gewesen ist. Ich habe mehr vom Gurken-Chabis-Salat gegessen. Mutig, ich weiss. Aber er war so gut. Und wie immer, kann es auch einfach ein Teller oder eine Gabel gewesen sein.
Am Morgen stellt mir Roman das Innenzelt in der Nähe des WC-Häuschens auf, damit ich nicht direkt neben dem grünen Kabäuschen liegen muss, um etwas Schatten zu haben. Unsere Gastgeberin ist sehr besorgt um mich und ich versuche ihr zu erklären, dass sowas halt einfach passiert mit diesen verweichlichten europäischen Gedärmen.
Ich liege also leidend in meinem Innenzelt und warte darauf, dass es vorbei geht, als die Jurtenbesitzerin plötzlich mit einem Glas dasteht. «Medisin», findet sie. Ich schaue etwas skeptisch und sie erklärt: «Wodka and pepper», worauf sie einen halben Kaffeelöffel schwarzen Pfeffer in das Glas einrührt. Na dann, prost! Sie streckt mir das Gebräu hin und sagt: «drink!». Ich nehme einen Schluck. Aus Anstand.
Doch das scheint ihr nicht zu genügen. Sie strahlt mich an und wiederholt ihren Befehl. Zum Glück kann ich sie überzeugen, dass ich lieber in kleinen Schlucken trinke. Sie lässt das Glas da und ich muss zugeben, ich habs nicht getrunken. Ich kann mir einfach beim besten Willen nicht vorstellen, dass Wodka mit Pfeffer meinem armen Magen bekömmlich sein soll. Aber immerhin habe ich jetzt auch noch mit kirgisischer «Medizin» Bekanntschaft gemacht.
Ob es die zwei Schlückchen «Medizin» gewesen sind oder sonst etwas, auf jeden Fall geht es mir am nächsten Tag gut genug um weiter zu fahren. Wir wollen den See über das Nordufer umrunden. Denn dort ist es ruhiger. Wenn auch etwas holpriger.
Nach 20 Kilometern haben sich die paar Wolken, die bereits am Morgen am Himmel gewesen sind, in bedrohliche, schwarze Monster verwandelt. Der Wind frischt auf, erste Tropfen fallen und keine zwei Minuten später regnet es in Strömen und zwar waagrecht. Dazu kommen nun noch Graupel und als zwischen dem Blitz und dem Donner nur noch wenige Sekunden vergehen, steuere ich die nächstbeste Jurte an.
Wir werden sofort reingelassen und können uns am Öfeli wärmen. Nach kürzester Zeit haben wir eine Tasse Tee in der Hand. Offenbar ist auch das hier ein «yurt camp»; dieses Geschäftsmodell scheint hier mittlerweile jede Familie umzusetzen. Also «bestellen» wir Mittagessen und warten, dass das Huduwetter vorüberzieht.
Der Herr des Hauses kann ein paar Brocken Englisch und dank google translate kommt ein spannendes Gespräch zustande. Die Familie besitzt 25 Pferde, wobei elf Fohlen sind. Im November wird ca. die Hälfte davon verkauft werden. Für ein Fohlen erhält die Familie 40 000 Som. Das sind umgerechnet 570 Franken.
Solange die Stuten im Frühjahr und Sommer ihre Fohlen haben, geben sie Milch und werden vier bis sechs mal pro Tag gemolken. Von Hand versteht sich. Aus der Milch wird das bereits erwähnte Kumys hergestellt. Die siebenköpfige Familie bekommt von ihren Stuten jeden Tag ungefähr 25 Liter Milch. Sie trinken die vergorene Milch also wortwörtlich literweise.
Kumys hat aufgrund des Gärungsprozesses einen Alkoholgehalt von etwa zwei bis drei Volumenprozent. Ausserdem soll es sehr gesund sein. Offenbar hat Stutenmilch einen höheren Vitamingehalt als Kuhmilch, was für die Menschen in den Steppen und auf den Hochebenen hier vor allem früher – als sie noch kaum Zugang zu Obst und Gemüse hatten – sehr entscheidend war.
Neben den Pferden hat die Familie noch Schafe und Kühe. Ainura, die Herrin des Hauses, zeigt mir, wie sie die Kuhmilch verwertet. Aus einem Teil gewinnt sie Anke und Nidle und aus dem anderen, grösseren Teil, macht sie Frischkäse. Diesen formt sie dann zu Kügelchen mit einem Durchmesser von etwa 2cm. Die Kügelchen werden während mehrerer Tage getrocknet und dann auf dem Markt verkauft. Wer keinen Kühlschrank hat, muss sich halt andere Methoden zur Haltbarmachung von Lebensmitteln zunutze machen.
Die Kügelchen kennen wir bereits seit Tadschikistan. Sie schmecken recht intensiv und sind sehr salzig. Als Reibkäse auf einem Teller Spaghetti sind sie recht gut. Sowieso sind wir positiv überrascht von der kirgisischen Küche. Wir erleben sie als abwechslungsreich, nahrhaft und spannend. Und trotzdem: Es ist unhlaublich, wie man sich auf ein Stück Greyerzer freuen kann!
Die vorläufig letzte Episode unserer kulinarischen Reise durch Kirgistan spielt sich bereits am nächsten Tag ab. Wir haben den kleinen Pass hinter dem See überwunden und sind wieder unterwegs richtung tiefere und etwas wärmere Gefilde.
Ein Bergbach direkt neben der Strasse lädt zum picknicken, faulenzen und Haare waschen ein. Nach dem Essen liegen wir gemütlich auf unserer Plane und lassen uns von der Sonne das Buggeli wärmen. Plötzlich bremst ein Auto und zwei ältere Herren steigen aus.
Wir wissen, was jetzt kommt: «Otkuda?» natürlich. «Schwizaria», antworten wir und das ist dann auch schon alles, was an Kommunikation möglich ist. Wir sprechen immer noch kaum russisch.
Einer der Herren geht zum Auto und kommt mit etwas in Zeitungspapier eingewickeltem zurück. Gebratenes Fleisch, stellen wir fest. Wir probieren und es schmeckt ganz gut. Wenn wir nicht schon satt wären. Wir bedanken uns herzlich und essen.
Eigentlich haben wir das Gefühl, wir sehen nicht ausgehungert aus. Aber die zweite Portion folgt, noch bevor wir auch nur einen kleinen Teil der ersten gegessen haben. Wir versuchen zu erklären, dass das nun wirklich zu viel sei und wir das unmöglich alles essen können. Aber wir bleiben erfolglos. Die beiden Herren steigen ein, winken fröhlich und fahren davon. Un da sitzen wir nun mit unserem toten, gebratenen Schäfli.