Maria Velofahrt

Iran – Ende November

Weiteres Etappenziel erreicht – Esfahan mitten im Iran. Wir haben vorgängig etwas vorwärts gemacht, damit Mänu mit ein bisschen mehr als zwei Stunden Reserve seinen Rückflug verwütscht. Im Hostel treffen wir die beiden Chefinnen des Betriebs, die Schwestern Mashad und Meryem. Die beiden schmeissen den Laden und wir verbringen schlussendlich mehr Zeit mit ihnen als mit den Millionen Keramik-Plättli in den bekannten Kuppeln der Moscheen. Auch sie geben uns wieder Einsicht in ein manchmal komplizierteres Leben.

inoffizielle Hostels

Martina hat irgendwie im Internet das Hostel Anar gefunden, überall top Reviews und viele Sterne, zu finden auf Google und Hostelworld, einfachheitshalber «buchen» wir per Whatsapp, da man hier ja weder die Kreditkarte zum Bezahlen brauchen kann, noch wissen wir das genaue Ankunftsdatum. Alles no problemo, Mashad hat uns auf dem Radar und wir nutzen die Koordinaten von der Webseite um mit dem GPS bis vor die Tür zu navigieren.

Doch wo ist das Hostel? Mitten in einem Wohnquartier stolpern wir um ein paar Ecken und suchen irgendwo ein Schild, doch gibts hier nur hohe Mauern und noch höhere Wohngebäude. Schlussendlich müssen wir Mashad eine Nachricht schreiben, vielleicht sind wir hier falsch.

Irgendeine Tür geht auf und es winkt uns eine junge Frau herein. Das Hostel sei drum nicht offiziell, daher kein Schild. Ach ja? Interessant, aber irgendwie überrascht uns das jetzt auch nicht mehr so sehr. Wir werden hereinbugsiert und dann gibts Tee in einer engen Küche. Dieses Hostel ist im Wohnhaus der Eltern von Mashad, im Zimmer nebenan sitzt die Mutter, und der Vater kommt gerade mit dem Velo zurück. In den oberen Stockwerken sind dann die Gästezimmer. Das Hostel hat sich aus Couchsurfing heraus entwickelt, zu Beginn haben die beiden Töchter verschiedene Gäste einfach bei sich einquartiert. Die zuerst skeptischen Eltern konnten sich aber nach und nach immer mehr begeistern, und mit der grossen Nachfrage haben sie dann angefangen, die Zimmer zu vermieten. Irgendwann hatten sie auch eine offizielle Lizenz für den Betrieb, doch wegen irgendwelchen (wahrscheinlich fingierten) Beschwerden mussten sie den Betrieb dann wieder einstellen. Was die beiden Betreiberinnen nicht daran gehindert hat, das Hostel zwei Wochen später illegal halt einfach wieder zu öffnen. Seit dem gibt es das Hostel offiziell nicht, aber trotzdem läuft der Laden, organisiert übers Internet und mit viel persönlichem Engagement der beiden Schwestern.

Meryem

Wir werden an den zweiten Standort verschoben, da es dort mehr Platz und einen grossen Innenhof für die Velos gibt. Die Sache gefällt uns sehr, gemütlich klein und kreativ dekoriert. Wir treffen Meryem, sie ist einiges älter als ihre Schwester, ist verheiratet und hat eine 16-jährige Tochter. Wärend sich Mänu direkt in die Stadtbesichtigung und tausend Besorgungen für nach Hause stürzt, bleiben wir erst mal sitzen und kommen an. Neben dem Betrieb des Hostels bietet Meryem auch persische Kochkurse an. Wir kommen schnell ins Gespräch und die nächsten Tage hängen wir vor allem in der Hostelküche rum und quatschen.

Meryem kommt aus einem kleinen Dorf. Ihr Vater hat sie jung und ohne Rückfrage mit einem Cousin verheiratet. Sie selbst hatte zu diesem Zeitpunkt mit achtzehn nichts dazu zu sagen. Sie vertraut uns viel persönliches an, wir wissen wieder mal nicht was man dazu sagen soll. Sie scheint pragmatisch damit umzugehen, sie habe es jetzt eigentlich gut mit ihrem Mann, er lässt sie machen, wie sie will. Er scheint sie wirklich gut zu mögen, er hat sich damals aktiv um sie bemüht, nur habe sie ihn halt nie geliebt. Aber verglichen mit Freundinnen habe sie mit ihm Glück gehabt, schlimmer geht immer.

Natürlich wünscht sie sich all die Freiheit, die wir haben und wir verzweifeln wieder mal dabei ihr zu helfen.

Mashad

Mänu ist von sechs Uhr morgens bis zwölf Uhr in der Nacht unterwegs um noch so viel wie möglich mitzunehmen. Mashad scheint nicht so begeistert vom Hostel-Alltag und widmet sich dankbar der Betreuung. Wenn sie fürs Zmorge im Hostel verantworlich ist, zieht sie zuvor mit Mänu los um einzukaufen. Die beiden bleiben zum Zmorge in einem Etablissement hängen, wo Schafskopf serviert wird. Martina und ich warten unterdessen im Hostel hungrig auf die beiden, doch bei den Schilderungen von gekochtem Gehirn und Augen nach ihrer Rückkehr reduziert sich unser Appetit etwas. Mashad scheint sich schnell für neues zu begeistern, und der Iran schränkt sie natürlich in jeder Hinsicht ein. Kurz nachdem wir weiterradeln, macht sie eine Reise in den Oman, in der Hoffnung dort bei einem Freund in dessen Hostel unterzukommen und dort zu arbeiten. Ihren Eltern wird sie davon natürlich nichts sagen. Bis dahin aber organisiert sie für die Gäste private Partys und bereitet super Zmorge für uns.

Taxi Teheran

In der Zwischenzeit haben wir auch Meryems Mann Mehdi kennengelernt. Ein sanfter und gutmütiger Mensch, sein Englisch ist zwar etwas holpriger als Meryems, doch kann er uns auch so bestens zu verstehen geben, dass die iranische Regierung kaputt ist. Zu Beginn kann er kaum glauben, dass wir mit dem Fahrrad unterweigs sein können – alles sei viel zu gefährlich! Wir erklären einmal mehr, dass das nicht stimmt, zeigen ihm Fotos, diskutieren Routen. Er bleibt skeptisch, aber taut langsam auf.
Am Abend bringt er ein paar iranische Filme mit, Meryem startet einen uralten und langsamen Laptop. Nach einigem Gebastel bringe ich das Teil dazu, «Taxi Teheran» mit Originalton und Untertiteln abzuspielen. Die beiden Iraner finden nichts Spezielles an diesem Film, das sei doch normal. Wir sind jetzt schon mehr als einen Monat im Iran und sind daher auch nicht mehr ganz so erstaunt über die dargestellten Lebensumstände, wie wir das einige Monate zuvor wahrscheinlich noch gewesen wären.

Am nächsten Abend macht Meryem einen inoffiziellen Kochkurs und wir (also hauptsächlich sie) kochen Fesenjan. Zum Essen kommt auch ihre Tochter. Ausnahmsweise. Meryem ist besorgt, weil sich ihre Tochter nur für Mathematik und Informatik interessiert, Stunden am Laptop verbringt und sich im Selbststudium alles beibringt ausser dem normalen Schulstoff. Am liebsten mag sie es, wenn man sie alleine lässt, Meryem und Mehdi schlafen manchmal auch im Hostel damit sie mehr Ruhe hat. Ganz so sehr erstaunt es uns nicht, dass ein sechzehnjähriges Mädchen eventuell nicht an den normalen Schulfächern wie Arabisch und Islam interessiert ist und vor allem etwas lernen will, das ihr später Arbeit im Ausland möglich macht.

Velofahren zur Unabhängigkeit

Wir sind nun schon mehr als eine Woche bei Mashad und Meryem im Hostel, Martina wird unruhig, alles ist erledigt, alle Moscheen besucht, jedes Mosaik besichtigt. Wir wollen weiter, in die Wüste, Richtung Yazd. Mänu hat uns in der Zwischenzeit verlassen. Nach einer intensiven letzten Woche haben wir ihn mitten in der Nacht am Flughafen in Esfahan verabschiedet. Die ersten paar Stunden und Tage sind etwas komisch, schliesslich haben wir die letzten drei Monate eng zusammen verbracht.

Meryem und Mehdi haben in den letzten Tagen ab und zu mal erwähnt, dass sie auch mal Velofahren möchten. Vielleicht von Esfahan in Mehdis Heimatdorf. Doch das wäre hauptsächlich eine grosse hässliche Hauptstrasse, wir raten davon ab damit zu beginnen. Als wir aber am Morgen des Aufbruchs mit Meryem die Karte und die Route aus der Stadt anschauen, fällt Meryem auf, dass wir genau bei ihrem zweiten Arbeitsort vorbei kommen, etwa 15 Kilometer ausserhalb des Zentrums. Das ist die Gelegenheit, superspontan überzeugen wir Meryem, uns doch mit dem Velo bis dorthin zu begleiten. Zuerst zögert sie, ist das denn möglich? Aber klar! Sie verschwindet um ihr altes Velo zu holen und wir treffen uns nach dem Einkaufen vor dem Shopping Center. Sie hat etwas Bedenken weil sie bergauf keine Kraft habe, wie wir das denn mit dem Gepäck machen?

Auf den ersten Metern führen wir also Meryem in das Geheimniss der Gangschaltung ein. Für uns so selbstverständlich, doch wenn man keine Ahnung hat von leichten und schweren Gängen kann das radeln schon unangenehm sein. Je länger wir unterwegs sind, desto entspannter rollt Meryem mit uns zuerst dem Fluss entlang, dann durch staubige Vororte und schlussendlich über die grosse Strasse bis in eine Arbeitersiedlung des Atomkraftwerks.

Sie scheint sehr motiviert zu sein, und wie sie uns später auch wissen lässt, hat ihr dieser kleine Ausflug irgendwie mehr Freiheit verschafft. Natürlich bricht ein Velo alleine die Unterdrückung der Frau nicht, doch hat sie das Gefühl, ein kleines bisschen Unabhängigkeit und Freiheit erlangt zu haben.

Ein paar Wochen später sind wir immer noch in engem Kontakt mit den beiden per Whatsapp, und Meryem schickt uns ein Foti von einem kleinen Tatoo. Zwei kleine Vögel und «free» hat sie sich auf die Schulter malen lassen, ein bisschen habe sie sich von uns zwei inspirieren lassen, wir zwei, frei wie zwei Vögel unterwegs um die Welt. Und auch sie geniesst nun regelmässig dieses Gefühl von Freiheit, wenn sie mit dem Velo zur Arbeit fährt.

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