Türkei – Ende Juli
Einen Hügel nehmen wir noch. Es ist kurz vor der Mittagspause, wir hängen auf einer Bank im Schatten, der Schweiss fliesst. Einen Hügel noch, dann gibt es Zmittag und dann pennen im Schatten. Also noch schnell die ganze Packung Güetzi aufessen, ein Ovosport hinterher geschoben und mit einem Liter Fanta runterspülen, dieser schöne Zuckerschub reicht hoffentlich um die 250 Höhenmeter im kleinsten Gang zu schaffen.
Auf der anderen Seite vernichten wir die gesamte Höhe innert Sekunden mit glühenden Bremsen, eine wahre Freude wie schlecht und ineffizient sich die potenzielle Energie hier nutzen lässt. Wir stehen am Abzweiger zum Strand, schon steht da ein türkisches Pärchen und spricht uns mit Lehrbuch-Britischenglisch an, woher, wohin, wieso? Zum Strand, baden und abkühlen, dann Zmittag und rumliegen. Sie können das nachvollziehen und meinen sie kommen dann auch an den Strand, sie haben hier ein Haus.
Die kleine Bucht ist hübsch, einige Häuser, Bäume und kleine Fischerboote am Strand. Vor dem Laden hocken alte Männer im Schatten und wir rupfen unser Badzeug aus der Saccosche. Kurz darauf kommt die Frau von vorhin vorbei, sie hat zwei Fische im Plastiksack dabei und meint sie werde die jetzt für uns kochen wir sollen nach dem Mittagsgebet bei ihnen vorbeikommen. Einmal mehr wissen wir kaum wie uns geschieht und die türkische Gastfreundschaft schlägt zu. Noch bevor wir uns umziehen können wird Martina ein zweites Mal eingeladen, wir dürfen gerne die Dusche benutzen. Nach ein paar Tagen wäscht Martina doch ganz gerne mal wieder ihre Haare und nimmt das Angebot an. Natürlich kann sie dort das Haus nicht verlassen ohne die Einladung zum Kaffee am Nachmittag nach dem Fischessen auch anzunehmen.
Also auf zum Fischessen! Kurz darauf sitzen wir im Wohnzimmer des Ferienhauses von Metin und Seniz (präventive Entschuldigung für alle falsch geschriebenen türkischen Namen!) und bekommen ein Mittagessen mit frischem Fisch, Salat und Brot vorgesetzt. Das Ehepaar wohnt ihn London und macht hier wo sie ursprünglich herkommen Ferien. Es gibt viel zu erzählen und wir haben schon lange beschlossen die Nacht gleich hier am Strand zu verbringen, der Ort gefällt uns sehr.
Nach dem wunderbaren selbstgemachten Dessert verschieben wir vom Fischessen zu Ebral und ihrer Familie zum Kaffee trinken. Sie sind aus Istanbul und machen hier ebenfalls Ferien. Ebral studiert etwas mit Bio und Genetik und spricht als einzige Englisch. Wir trinken Kaffee im Wohnzimmer und wieder gibt es viel zu erzählen und zu fragen. Mit dabei ist auch die Grossmutter und der kleine Cousin, welcher topmotiviert versucht Martina Türkisch beizubringen. Wir geniessen das gemütliche Zusammensitzen und versichern, dass wir nicht gleich wieder weiterfahren sondern hier noch etwas bleiben, schwimmen und Ferien machen.
Nach dem Kaffe gesellen wir uns zu den alten Männer am Strand. Ein wettergegerbter Türke aus Schweden setzt sich zu uns und erzählt uns aus seinem Leben als Matrose. Jetzt ist er pensioniert und macht wie alle anderen hier Ferien. Die Herren fahren jeden Abend mit ihren Fischerbooten zum Fischen raus, um sechs Uhr Abends geht es los, dann kommen die Fische an die Oberfläche. Neben dem kleinen Park am Strand muttet ein Stinkfeuer aus Plastikabfall vor sich hin, die Leute schmeissen fröhlich ihre Petflaschen rein, der beissende Geruch treibt uns ins Meer zum baden.
Metin taucht auf und lädt uns zum Tee bei Freunden ein. Wir setzen uns also in die Runde (Frauen und Männer getrennt, jedenfalls zu Beginn…) und es wird übers Fischen diskutiert. Die Herren der Runde sind alle braungebrannt und sagen nicht allzu viel, unser erster Gastgeber meint dann plötzlich ‹auf gehts, wir gehen Fischen›. Etwas Widerstand von Martina und es endet – wie schon am Nachmittag vermutet – damit, dass Roman raus muss um Fische zu jagen.
Das Boot ist klein, für vier Personen reichts aber. Handgemachtes Holzboot aus der Nachbarstadt, robust weil das Schwarze Meer oft rauh ist. Beruhigend. Ich lasse mir den angerosteten Motor zeigen, der sitzt in der Mitte des Boots unter einer Holzkiste. Da ich so skeptisch schaue wird der schon mal zu Demonstrationszwecken gestartet. Ohne Zweifel, das Ding läuft! Das rudimentäre Getriebe lässt sich mit einem Hebel auf vorwärts und rückwärts schalten, die Antriebswelle rattert zwischen den Füssen. Hoffen wir mal das die Fischleine nicht da rein gerät….
Unter grossem Hallo und mit Hilfe des halben Dorfs wird das Boot ins Wasser geschoben und für die nächsten zwei Stunden macht der Motor jegliche Gespräche unmöglich. Allzu viel gibts auch nicht zu diskutieren. Der Steuermann sitzt wie mit dem Boot verwachsen im Heck und fixirt mit zusammengekniffenen Augen den Horizont während das kleine Boot durch die Wellen pflügt und arg hin und her geschüpft wird. Ich versuche meine Füsse von der Antriebswelle fern zu halten und gleichzeitig nicht mit dem Auspuff neben meiner Hand in Kontakt zu kommen. Der ist liebevoll mit Isolation und Alufolie eingewickelt. Ich möchte ihn trotzdem nicht berühren.
Die Stimmung draussen auf dem Meer ist beeindruckend. Die untergehende Sonne (und meine orange-braun gefärbten Sonnenbrillengläser) lassen die grünen Hügelzüge an der Küste golden leuchten. Martina am Strand wird immer kleiner, sie wird von einer Gruppe Frauen adoptiert und darf nun wohl zwei Stunden lang erklären wie unser Beziehungsstatus ist und wieso wir noch keine Kinder haben. Das Leben auf dem Fischerboot ist einfacher. Der Schiffsmotor dröhnt und der Horizont kippt hin und her. Die Dieselabgase sorgen für authentischen Männerarbeits-Geruch. Nun wird die auf einem Brett aufgerollte Fischleine zu Wasser gelassen. In Abständen von 20 Zentimetern sind Haken mit kleinen Federn angeknüpft, die Leine ist vielleicht zehn Meter lang und das Fischerglück wird mit der hohen Anzahl Haken vergrössert. Nun gilt es rechtwinklig zur Wanderroute der Fische aufzukreuzen und dabei die Leine hin und her zu bewegen. Die Seemänner betrachten mich kritisch, ‹All OK?›. Aber natürlich, falls ich grün im Gesicht bin dann nicht wegen der Wellen sondern wegen dem Dieselrauch…
Es zupft an der Leine, sie wird eingeholt. Ein alter Farbeimer steht bereit, ich warte optimistisch darauf dass er mit Wasser gefüllt wird. Denkste! Der erste Fisch erscheint zappelnd am Haken. Der Steuermann holt ihn feinfühlig vom Haken und wirft ihn in den Kübel. Blut spritzt. Ich halte mich mit moralisierenden Vorträgen über das Töten von Fischen zurück, sie wären sowieso im Motorenlärm untergegangen. Währenddessen erstickt der Fisch kläglich japsend und zuckend mit zwei weiteren Artgenossen in Plastikkübel während die Leine wieder ausgelassen wird.
Auch ich darf mein Glück versuchen und ziehe nach zwei weitern Kreisen drei grosse Exemplare aus dem Wasser. Nun haben wir schon sieben Stück zusammen und die Sonne geht orangerot im Meer unter. Zurück am Strand wieder grosses Hallo, das Boot wird aus dem Wasser gezogen und die Fischer bewundern den Fang. Martina wurde in der Zwischenzeit bei der Familie von Ebral zum Übernachten eingeladen, die Grossmutter hat nach der Überprüfung unseres Zivilstands ihre Einwilligung gegeben. Wir sitzen also mit ihnen auf der Terrasse am Strand und trinken Tee und rauchen Wasserpfeife. Ebral leistet Schwerstarbeit und übersetzt für die ganze Familie fortlaufend das Gespräch und die Fragen.
Wir müssen feststellen, das wir (Europäer im Generellen und wir zwei im Speziellen) uns fast mehr Gedanken über Kopftücher und muslimische Bräuche und Verhaltensweisen machen als die muslimischen Türken selbst. Auch hier (wie bis jetzt in jedem diskutierten Fall) sind Kopftücker und weite Kleider freiwillig getragen, die Frauen haben früher ohne Kopftuch gelebt und sich dann weil es Brauch und halt «normal» ist, dazu entschieden. Und vor allem sei hier alles möglich und erlaubt, wir sollen uns keine Gedanken machen! Jeder kann tun und lassen was er möchte, alles kein Problem. Das sehen wir auch tagtäglich auf der Strasse, von Bikini bis voll verschleiert im Schwarz sieht man hier alles. Doch etwas haben bis jetzt alle gemeinsam – ein riesengrosses hilfsbereites Herz und überwältigende Gastfreundschaft!
to be continued…