superzackig

Iran – Mitte November

Die erste ernsthaft touristische Stadt auf unserer Reise durch den Iran ist Esfahan. Jeder geht dorthin. Wir also auch. Dort solls Architektur geben, auch ein paar Keramiken. Um nicht komplett ohne Ahnung ins Touristengetümmel zu crashen, fragen wir auf Warmshowers eine Familie für die ersten zwei Nächte an. Für die restliche Zeit bis Mänus Abflug in einer Woche verschieben wir dann in ein Hostel. Selbstverständlich und komplett wider Erwarten lernen wir bei unserem Gastgeber etwas ganz anderes als die touristischen Geheimnisse von Esfahan kennen.

Martina gibt sich arg Mühe eine kreative Anfrage zu formulieren, etwa fünf Minuten nachdem sie die Anfrage verschickt hat, gibts auch schon eine Antwort, «ok, when do you come?» Superzackig. Im Verlauf der nächsten Nachrichten scheint sich dann abzuzeichnen, dass unser Gastgeber Hassan beim englisch schreiben in seinem Profil wohl ein bisschen geschummelt hat. Da Martina zu gut Englisch schreibt, übernehme ich die Kommunikation. «Auf das Wesentliche reduzieren» ist meine Devise, und die funktioniert hier ganz gut. Er erwartet uns in zwei Tagen in seinem Geschäft. Oder Büro. Oder Werkstatt. Ich versuche noch zu arrangieren, dass wir einfacher direkt zu ihm nach Hause radeln können, doch das funktioniert eher nicht. Wir werden sehen.

Wir sind gut in der Zeit, mit Rückenwind haben wir schon die halbe Vorstadt von Esfahan durchquert und es geht gegen Mittag zu. Ich schreibe Saman wo wir sind und dass wir in etwa einer Stunde bei ihm auftauchen. Kurz darauf bremst mich ein junger Iraner auf einem Töffli aus. Und schon bin ich in ein unendliches Telefongespräch mit seinem Bruder, Cousin, Onkel oder Freund verwickelt. Da der Ausbremser ein reduziertes Englisch spricht, übernimmt es der Typ am anderen Ende der Leitung, uns zum Mittagessen einzuladen. Oder zum übernachten. Etwa eine halbe Stunde später haben alle Beteiligten verstanden, dass wir in einer halben Stunde abgemacht haben und lassen uns ziehen. Kurz darauf erspähen wir auf der Gegenfahrbahn einen Radler, er ist zackig unterwegs, aber er sticht zielsicher in einem waghalsigen Manöver über die vierspurige Strasse als er uns erblickt. Bis ich den Ohrstöpsel aus dem Ohr gegrüblet habe, hat er schon alle mit Handschlag begrüsst, es ist Hassan, unser Gastgeber! Aber da auf der Strasse wird nicht lange gefackelt, er startet an der Spitze von unserem eher schwerfälligen Konvoi und winkt uns hinter sich her. Kurz darauf befördert er uns durch ein grosses Metalltor in einen Hof voller mobiler Kompressoren – seine Werkstatt.

Wir merken, der Mann ist im Schuss. Ich chnüble immer noch meine Velohändschli von den Fingern als er schon Tee serviert hat. Er ist Mechaniker und repariert grosse Kompressoren für den Bergbau oder für die Flugzeugreinigung. In der Halle neben dem Hof stehen verschiedenste zerlegte Kompressoren und Motoren in einem öligen Chaos herum. Nach dem Tee solls nach Hause gehn, allerdings möchte er uns mit dem Auto dorthin bringen. Natürlich versuchen wir diese etwas komplizierte Übung zu verhindern, wir können problemlos die nächsten 15 oder 20 Kilometer radeln. Aber nein, er möchte nicht, wegen den Verkehrskameras. Es wäre unsicher für ihn, die Polizei soll uns nicht in der Nähe seines Hauses entdecken. Das macht uns etwas stutzig, aber da wir wissen, dass Couchsurfing und Warmshowers im Iran irgendwie verboten ist, oder mindestens zu Problemen für die Gastgeber führen kann, lenken wir ein. Er hat sich selbst einen Veloträger fürs Auto gebaut, kaufen kann man das hier nicht. Etwas skeptisch stopfen wir unsere 15 Saccoschen und uns in das kleine Auto, auf dem Dach unsere drei Velos und so rasen wir «ganz langsam und vorsichtig», wie Hassan sagt, zu ihm nach Hause.

Dort befördert er uns ziehmlich schnell nach drinnen, draussen rumstehen und beim Abladen helfen sieht er nicht gerne. Es ist nicht ganz klar ob das wegen der Nachbarn oder wegen seiner zackigen Art ist, alles geht schnell, da wird nicht lange gefackelt. Kurz darauf begrüsst uns seine Frau Fatameh, sehr unkonventionell ohne Kopftuch, in einigermassen sportlicher Kleidung. Sie hat schon Beilagen zum Essen bereit gemacht, Hassan hat unterwegs schnell ein ganzes Brathühnchen zum Zmittag besorgt. Auch sie spricht nur ein rudimentäres Englisch, aber wir können uns gut mit den beiden austauschen. Auch beim Essen ist Hassan superzackig, er ist schon fertig als ich etwa den dritten Bissen im Mund habe.

Später, vor einem Bild mit einem bärtigen alten Mann im Wohnzimmer, erklärt uns Hassan, dass sei der Bab. Wir haben keine Ahnung, wer das ist. Er erklärt uns, er und seine Familie seien Bahai. Wir haben keine Ahnung, was das ist. Hassan versucht zu erklären, um was es dabei geht, und wir verstehen nicht allzuviel wegen dem eher rudimentären Englisch. Das Bahaitum ist ihre Religion, das sei irgendwie anders als der Islam. Und soweit wir verstehen, hat er deswegen viele Probleme im Iran. Das ist für mich dann der Moment, wo ich auf Wikipedia ausweiche, und was wir dort über das Bahaitum im Iran lernen, ist wiedermal erschütternd.

Gerne würde ich hier den gesamten Wikipedia-Artikel rezitieren, doch der Ruhetag ist kurz. Das Bahaitum wurzelt im Islam und im Iran und scheint eine sehr offene und tolerante Glaubensrichtung zu sein. Zentral steht die Nächstenliebe, und die Religion soll weder der Vernunft noch der Wissenschaft widersprechen. Friede zwischen allen Religionen und Gewaltfreiheit, kaum vorgegebene Riten oder Zeremonien, es zählt die innere Haltung und nicht die äussere Form. So weit so sympathisch, doch kann man sich leicht vorstellen, dass das nicht ganz im Sinne der geistigen Führung vom Iran liegt. Grundsätzlich sind Bahai vom Islam abgefallen. Seit Gründung des Bahaitum vor 160 Jahren werden die Mitglieder der Religion auf allen nur erdenklichen Wegen unterdrückt und ermordet. Der separate Wikipedia-Artikel zur Verfolgung der Bahai rüttelt wieder mal arg an uns. Im Iran sind neben dem Islam verschiedene religiöse Minderheiten offiziell geschützt, dazu zählen z.B. die Christen, Juden und Zoroastrier. Die Bahai sind mit bis zu 400’000 Mitgliedern aber die grösste aller religiösen Minderheiten im Iran. Anerkennung? Genau gar nicht. Seit den letzten paar Jahren ist die geistige Führung zwar von der direkten Verfolgung etwas abgekommen, doch gilt aktuell ein offizielles Schreiben, worin festgelegt ist, dass die Bahai vom Arbeitsmarkt und der höheren Bildung auszuschliessen seien. Man will die Minderheit benachteiligen soweit es nur irgendwie geht, ohne sie direkt auf der Strasse zu erschiessen.

Am Nachmittag kommt die Tochter von unseren Gastgebern von der Schule nach Hause. Jasmin darf noch zur Schule gehen, Grundausbildung ist gebilligt. Berufsbildung gibt es hier zwar grundsätzlich eher nicht (jedenfalls nicht so, wie wir uns das aus der Schweiz gewohnt sind) doch ist für sie sowieso bald Schluss mit Bildung. An der Universität ist sie nicht zugelassen. Sie zeigt mir ihre Lehrmittel für das Schwerpunktfach; darin Schnittmuster für Röcke und Jupes, neben Skizziertechniken für Designentwürfe von Kleidern. Wie auch in der Schweiz reicht hier das Schwerpunktfach am Gymer niemals aus, um danach einen Beruf ausüben zu können. Wie soll es also später weitergehen?
Wir können nun bestens verstehen wieso Hassan uns lieber im Auto zu sich gebracht hat. Für einen durchschnittlichen Iraner kann es schon unangenehm werden wenn er Fremde privat beherbergt. Was sind wohl die Konsequenzen für einen Bahai?
Mänu braucht nun noch eine Kartonkiste für sein Velo, da er ja von hier aus zurück in die Schweiz fliegt. Bei Hassan sind wir goldrichtig. Er ist selbst begeisterter Velofahrer, stolz zeigt er mir seine Velos. Die sehen gar nicht mal so schlecht aus, allerdings muss man die richtigen Leute kennen um diese Markenkomponenten hier im Iran zu erhalten. Da er eben die richtigen Leute kennt, bringt er am nächsten Abend eine Kartonkiste und sogar Isoliermaterial mit, so einfach haben wir uns das mit der Verpackerei nicht vorgestellt!

Wir haben wieder viel Neues gelernt. Man meint als durchschnittlich gebildeter Schweizer habe man eine grobe Ahnung, was es so alles gibt auf der Welt. Wir stolpern in einen weiteren Haushalt, und erfahren nebenbei von einer Religion, von der wir bisher noch nie etwas gehört haben. Die Tage bei Hassan sind intensiv, er lebt schnell packt sofort alles an. Er und Fatameh haben ihr Schlafzimmer für uns geräumt und schlafen nun im Wohnzimmer. Zu dritt passen wir knapp mit unseren Mätteli in ihr Zimmer, doch Privatsphäre oder Rückzugsmöglichkeiten gibt es sonst nicht, und nach den letzten Tagen auf dem Velo wäre Ausschlafen schon mal schön, Mänu und ich haben nicht ganz den gleichen Tagesrhythmus.

Das Hostel haben wir im Anschluss an den Besuch bei Hassan schon gebucht, doch wird dieser Umzug etwas harzig. Bei aller Gastfreundschaft kann er einfach nicht verstehen, wieso wir aus seinem Haus nun in ein Hostel umziehen wollen. Alles erklären von wegen Privatsphäre (vor allem auch für sie!) versteht er nicht, er entschuldigt sich dass seine Wohnung zu klein sei. Es fällt im schwer uns gehen zu lassen und aus meiner Sicht scheint er auch beleidigt zu sein. Doch diesmal beharren wir auf unserem Umzug, die letzten Wochen mit all den sehr schönen Kontakten zu unseren Gastgebern waren auch unglaublich intensiv und wir sind richtiggehend erschöpft von all der Aufmerksamkeit. Und wir möchten in Ruhe die letzten Tage mit Mänu verbringen, bevor wir dann wieder zu zweit weiterziehen.

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