Turkmenistan. Dieses Land liegt uns schon seit dem Beginn unserer Reise etwas auf dem Magen. Man hört viele unschöne Geschichten, was die Beschaffung des Visum angeht. Und ausserdem kommt das Land nicht unbedingt gut weg, wenn man mal ein bisschen googelt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit rangiert es auf dem letzten Platz. Hinter Nordkorea. Aber wir sind ja keine Journalisten. Und auch die Sache mit dem Visum stellt sich als einfacher heraus, als befürchtet.
Wir beantragen das Visum bereits im Februar in Abu Dhabi. Die nette Dame hinter dem Schalter ist sich überhaupt nicht gewohnt, dass europäische Touristen bei ihr ein Visum für Turkmenistan beantragen wollen. Sie hilft wo sie kann, verbessert sogar noch unseren «Bewerbungsbrief» um unsere Chancen zu erhöhen. Und sie gibt uns ihre private Telefonnummer und meint, wir sollten ihr nach zwei Wochen eine Nachricht schicken und nachfragen. Das tun wir auch. Und nach drei Wochen erhalten wir dann eine Whatsapp von Maya. Unser Visum sei bewilligt, wir könnten es bei jeder beliebigen Botschaft abholen gehen.
Wir glauben der Sache noch nicht ganz. Aber auf dem Konsulat in Mashhad im Iran erhalten wir tatsächlich unser Transitvisum. Fünf Tage, um das Land zu durchqueren. Und zwar genau auf der Route, die wir angegeben haben. Was passieren würde, wenn wir davon abweichen, wollen wir lieber nicht ausprobieren. Wir sind einen Tag zu früh an der Grenze und machen einen Ruhetag in einem Hotel mit Aussicht auf das Grenzgebäude der Iraner. Die Grenze öffne zwischen sieben und acht Uhr am Morgen versichern uns diese.
Während wir in der Lobby des Hotels mit Romans Eltern telefonieren, schneit ein anderer Velofahrer rein. Sean aus Irland. Er ist 19 und fährt mal schnell von Irland nach Bischkek. Am nächsten Morgen sind wir also zu dritt kurz vor acht Uhr an der Grenze. Natürlich tut sich noch nichts. Wir werden langsam nervös. Schliesslich zählt jede Minute. Wir haben fünf Tage Zeit, um die 480 km hinter uns zu bringen. Und laut Wetterprognose müssen wir spätestens ab dem zweiten Tag mit Gegenwind rechnen.
Plötzlich fährt ein altes, finnisches Feuerwehrauto heran. Ein junges Päärchen steigt aus. Auch sie wollen es wagen. Endlich beginnt der Tag auch für die iranischen Grenzwächter. Wieder einmal wird all unser Gepäck gescannt, öffnen müssen wir aber nichts. Dann findet die Dame aber, sie möchte den Fotoapparat sehen. Wenn sie jetzt checken will, was wir im Iran so fotografiert haben, so könnte das etwas dauern. Meine Laune sinkt bereits etwas, als wir feststellen, dass sie einfach nur neugierig ist und ein paar Bildli sehen möchte. Geduldig zeigt ihr Roman, was sie sehen möchte und versichert noch einmal mehrmals «Iran good, Iran beautiful». Sie ist zufrieden und lässt uns ziehen.
Wir fahren über eine holprige Schotterpiste durch das Niemandsland zur turkmenischen Grenze. Überall sind hohe Zäune und dahinter fein säuberlich grächeleti Erde. Der Himmel hängt tief, es kann jeden Moment anfangen zu regnen. Vor dem turkmenischen Grenzgebäude erwarten uns mehrere sehr jung aussehende Männer in Uniform. Alle grüssen freundlich und wir werden reingelotst. Wir bezahlen irgendwelche Gebühren, lassen uns fotografieren und hinterlassen elektronische Fingerabdrücke. Und natürlich werden wir wieder gefragt, wo wir durchfahren wollen und in welchen Hotels wir gedenken zu nächtigen. Wir finden zum Glück auf die Schnelle zwei Hotelnamen auf unserer Navigations-App und hoffen, dass das nicht kontrolliert wird. Die Jungs in Uniform scheinen gelangweilt und sagen immer wieder «doctor, doctor». Schliesslich führen sie uns in ein Zimmer, wo ein Herr mit einem komischen Gerät auf unsere Stirn zielt bis es piepst und dann etwas notiert. Vielleicht ein Fiebermesser? Wir wissen es nicht. Und finden es ohne Russischkenntnisse auch nicht heraus. Schliesslich wird ein Zedeli in unseren Pass geklebt und wir dürfen weiter zur Gepäckkontrolle.
Wieder wird alles geröntgt. Und natürlich will die – offensichtlich erkältete – Dame in einige Taschen reinschauen. Besonders scheint sie meine Apotheke zu interessieren. Ich packe schön brav alles aus, sie wühlt ein bisschen in meinen Tabletten rum, findet, was sie sucht, zeigt drauf und findet: «Paracetamol?». Ich nicke, sie drückt eine Tablette raus, steckt sie sich in den Mund und bedeutet mir, dass ich wieder einpacken darf. Bitte. Schön, konnte ich helfen.
Auch das Päärchen mit dem Feuerwehrauto hat die Kontrollen hinter sich und bietet uns an, uns ein Stück mitzunehmen. Wir zögern. Wollen wir wirklich bschiisse? Andererseits ist die Aussicht auf 480 km mit Gegenwind in – nun nur noch – viereinhalb Tagen nicht unbedingt prickelnd. Sean schlägt aus, er will alles aus eigener Kraft fahren. Wir sagen zu. Direkt nach der Grenze werden wir von aufdringlichen Geldwechslern umschwirrt und machen ab, ein paar hundert Meter weiter hinten einzuladen. Gerade als wir unsere Velos in das Bössli hieven, fährt ein weisser Lexus heran. Ein düster dreinblickender Herr ohne Uniform redet in russisch auf uns ein. Er sagt immer wieder etwas, was wie «Karte» tönt und macht eine Bewegung, als würde er etwas stempeln. Und er will ganz offensichtlich, dass wir zurück zum Grenzposten kommen. Wir beschliessen, ihn zu ignorieren und hoffen, dass er geht. Schliesslich trägt er nicht einmal Uniform.
Doch er bleibt und wartet in seinem Auto, bis wir parat sind. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als wieder zur Grenze zu fahren. Dort verschwindet Wille mit dem Herrn und ein paar Soldaten in einem Häuschen. Roman, Sara und ich warten und plaudern. Wir erfahren, dass Sara Deutsche ist, Wille aus Finnland kommt und dass sie gemeinsam nach Kasachstan fahren und von dort aus China besuchen wollen. Alles mit ihrem herrlichen, alten Feuerwehrauto. Natürlich ausgebaut mit Bett und Küche. Und wunderbar gemütlich.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Wille zurück. Allerdings nur um ein paar Papiere und Geld zu holen. Die Herren an der Grenze haben vergessen, das Auto einzuführen. Was offenbar der komplizierteste Schritt des ganzen Grenzübertritts ist. Und vor allem der teuerste. Wille braucht mehr als 200 Dollar. Und die beiden haben nicht mehr so viel Geld übrig. Zum Glück haben sie zwei faule Velofahrer im Auto! Wir helfen gerne aus. Und nach einer weiteren Stunde können wir dann auch tatsächlich losbrausen. Nun sind wir aber mit einem GPS-Tracker der turkmenischen Behörden bestückt. Nicht dass wir noch auf dumme Ideen kommen. Ob er funktioniert wagen wir allerdings zu bezweifeln. Als Abschreckung zeigt er aber sicher seine Wirkung.
Wir geniessen das ungewohnte Tempo und die angenehme Gesellschaft. Die Strassen haben definitiv nicht mehr die Qualität, die wir vom Iran gewohnt sind und wir werden mächtig durchgeschüttelt im nicht mehr ganz jungen Bus. Die Landschaft ist – wie erwartet – flach und nicht besonders spannend. Allerdings ist es unglaublich grün. Wir haben eigentlich mit Wüste gerechnet. Die Häuser und Felder erinnern uns an Georgien und Armenien; definitiv wieder postsowjetischer Charme.
Wir fahren bis nach Mary, die erste Stadt auf unserem Weg. Und wir erfreuen uns ob all der unglaublich farbig gekleideten Frauen. Was für ein herrliches Bild nach all den schwarz eingehüllten Frauen im Iran! Das Kopftuch ist auch hier omnipräsent. Allerdings wird es nicht von allen getragen. Und ausserdem scheint es eher ein hübsches Accessoire zu sein, das im Nacken gebunden wird. Die Kleider sind bodenlang, farbig und zum Teil ziemlich enganliegend. Und sie werden generationenübergreifend getragen. Westliche Kultur scheint hier kaum Einzug zu halten. Vielleicht eine Folge dieser totalen Isolation der Bevölkerung? Wir wissen es nicht. Aber wir stellen fest, dass die Menschen zwar weniger auf uns zukommen als im Iran, aber trotzdem keine Berührungsängste mit uns zu haben scheinen.
Auch ich habe mir natürlich kurz nach der Grenze das Kopftuch vom Haupt gerissen und meinen – meine Kurven verhüllenden – «Hudu» ausgezogen. Paradoxerweise fühle ich mich in einem der repressivsten Länder der Welt gerade so frei wie schon lange nicht mehr. Nach einem etwas übertriebenen Einkauf in einem grossen Supermarkt – auch das haben wir schon lange nicht mehr gehabt – fahren wir nach Merv. Die alte Oasenstadt liegt etwas ausserhalb von Mary. Es ist nicht allzu viel davon übrig, aber die Geschichte dieser wichtigen Station an der Seidenstrasse ist mehr als beeindruckend. Es dämmert schon als wir ankommen und so suchen wir uns nur einen ruhigen Zeltplatz und vertagen die Besichtigung auf den nächsten Tag.
Wir machen ein Feuer, grillieren Pilze mit Käse und Gemüse und geniessen unser erstes Bier seit langem. Irgendwann fängt es an zu regnen und wir verziehen uns in unser Zelt. Die Nacht wird ziemlich gewittrig und der Morgen nass, kalt und matschig. So haben wir uns die turkmenische Wüste nicht vorgestellt. Wir haben am Vortag zwei Tagesetappen mit Wille, Sara und ihrem Bössli gemacht, sodass wir nun Zeit haben, etwas von dieser alten Oasenstadt zu sehen, bevor wir uns wieder auf die Velos schwingen.
Etwas planlos fahren wir durch die Gegend. Die verschiedenen Gebäude aus verschiedenen Epochen sind sehr weitläufig in der Wüste verteilt. Und so landen wir mehr zufällig bei einem Mausoleum. Der riesige Kuppelbau aus Backsteinen ist reich verziert und wunderschön anzusehen. Wir watscheln laut quatschend rein und verstummen sofort. Drinnen sitzt eine turkmenische Grossfamilie in einer Reihe an der einen Wand und einer der älteren Herren murmelt ein Gebet. Durch die unglaubliche Akustik des Raumes, verstärkt sich sein Gemurmel, sodass es im ganzen Gebäude problemlos zu hören ist. Ein Gänsehaut-Moment. Wir hören gebannt zu und sind Sara und Wille mehr als dankbar, dass sie uns mitgenommen haben. Ohne diese «Abkürzung» hätten wir nicht Zeit gehabt, hierher zu kommen.
Wir verabschieden uns von Sara und Wille, schwingen uns auf unsere Velos und strampeln los. Die Gegend wird nicht spannender. Flach, viel Sand, Büsche, ab und zu eine Schafherde oder ein Kamel und sonst nicht viel. Immer noch ist es erstaunlich grün. Auch hier hat es wohl die letzten Wochen mehr geregnet als normalerweise. In ein paar Monaten ist hier vermutlich alles braun und dürr. Die Polizei ist überall präsent, aber das haben wir ja so erwartet. Die meisten Polizisten sitzen allerdings irgendwo versteckt hinter einem Busch und machen Tempokontrollen. Sie grüssen nett, interessieren sich aber nicht weiter für uns. Ab und zu werden wir kontrolliert und interessanterweise wissen sie immer schon, dass wir kommen. Aber auch das ist nicht weiter erstaunlich. Immerhin dürfen wir frei das Land durchqueren. Auch campieren ist kein Problem in diesem endlosen Nichts und weil die Wüste grünt und blüht sind unsere Zeltplätze sogar richtig hübsch.
Am nächsten Tag kommen wir um die Mittagszeit an einem Restaurant vorbei und beschliessen, turkmenisches Essen zu probieren. Vor dem Restaurant steht ein Velo und drinnen sitzt tatsächlich der biertrinkende Sean. Er hat am Vortag aus lauter Angst vor dem (vielleicht) aufkommenden Gegenwind nicht aufgehört zu pedalen. Was in einem 185km-Tag geendet hat. Na ja, er ist ja noch jung. Aber schön, sind wir wieder vereint. Den Rest der Strecke fahren wir zusammen. Wir haben nun keinen Stress mehr, auch wenn uns der Gegenwind tatsächlich ziemlich verlangsamt.
Kurz vor Turkmenabat fahren wir in ein Gewitter und danach hört es nicht mehr auf zu regnen. Wir fahren in strömendem Regen an all diesen Prunkbauten vorbei, machen ein paar Fotos und hoffen, dass die Grenzbeamten unsere Kameras nicht kontrollieren werden.
Am Abend des vierten Tages sind wir kurz vor der Grenze. Und vielleicht würden wir es sogar noch rüber schaffen. Aber nach all den Grenzkontrollen wäre es dann wohl finster und einen Zeltplatz suchen des Nachts und in der Nähe einer Grenze ist nicht unbedingt die tollste Aussicht. Wir beschliessen noch auf der turkmenischen Seite zu schlafen und halten bei einer Lastwagenraststätte kurz vor der Grenze an. Im Restaurant bekommen wir frische, selbstgemachte Manti (sowas wie Tortellini) zum Znacht und für ein paar Rappen kann ich sogar duschen. Nur blöd, dass es immer noch regnet und die Umgebung der Tankstelle voller Abfall ist. Wir beschliessen auf dem Parkplatz unsere Zelte aufzustellen. Was nicht ganz einfach ist, da wir kein freistehendes Zelt haben. Roman ist bereits am basteln, als plötzlich die Frau vom Restaurant auftaucht und meint wir könnten im Gebäude nebenan schlafen. Dabei handelt es sich um eine Werkstatt, in welcher Reifen gewechselt werden. Wir finden aber problemlos einen Platz für Mätteli und Schlafsack und sind sehr froh, im Trockenen zu sein. Gegen zehn Uhr will Roman das Licht ausschalten. Der diensthabende Mechaniker springt aber sofort aus seinem Büro und macht abwehrende Handbewegungen. Wir wissen nun, dass man auch unter hell leuchtenden Neonröhren schlafen kann. Die eine Hälfte von uns indem sie einfach die Augen schliesst, die andere indem sie sich einen Buff um die Augen bindet. Und als mitten in der Nacht bei einem Lastwagen mit Pressluft die Reifen gewechselt werden, sind wir auch nicht mehr wirklich im Tiefschlaf.
Am nächsten Tag rollen wir gemütlich auf die Grenze zu und werden problemlos rausgelassen. Die Usbeken scannen wieder einmal unser Gepäck, aber schon bald rollen wir weiter ostwärts. Es ist immer noch nass und kalt. Und die Strassen sind immer noch löchrig und voller Matsch. Aber wir sind beschwingt, hat doch Turkmenistan entgegen aller Erwartungen einen positiven Eindruck bei uns hinterlassen.